der begriff der demokratie wird unverändert geführt. man gewinnt nicht den eindruck, seine bedeutung könnte sich geändert haben.

betrachtet man allerdings das, was man mit diesem begriff bezeichnet, die verhältnisse, auf die man diesen begriff anwendet, so drängt sich eine starke veränderung im vergleich zu früheren zeiten auf.

was nun bezeichnete man früher mit dem begriff der demokratie, was war der kern dieses begriffes?

im lichte der aufklärung bestand der kern dessen, was demokratie sein soll, in einem geistigen phänomen.

demokratie war der ausdruck eines menschenbildes, in dessen zentrum das individuum stand, das willens und fähig ist, sich seines eigenen verstandes zu bedienen.

schutz der demokratie bedeutete daher schutz der freiheit des urteilsprozesses beim einzelnen menschen.

schutz der freiheit des urteilsprozesses bedeutete also sicherstellung der freiheit von äußeren einflussnahmen auf diesen prozess.

es ging also nicht um den schutz eines bestimmten inhalts, im sinne eines bestimmten möglichen ergebnisses eines bestimmten urteilsprozesses, sondern um den schutz der form dieses prozesses bei allen gegenüber der einflussnahme durch die ergebnisse dieses prozesses bei wenigen.

demokratie bedeutete also die sicherstellung einer bestimmten form der urteilsfindung bei allen individuen.

es ging also um jene form, die das ergebnis der urteilsfindung beim urteilenden individuum ansiedelte und nicht außerhalb des selben.

urteilsfindung war damit ein prinzipiell offener prozess, dessen ergebnis der instanz des einzelnen individuum überlassen war.

genau hier kam es nun zum bruch mit der demokratischen tradition. das individuum, das subjekt mensch hat sein monopol als erkenntnisstiftende instanz verloren.

erkenntnis und urteilsbildung sind zwar noch immer prinzipiell vorhandene attribute des individuums, aber die autoriät dieser instanz wurde schwer beschädigt.

computer und künstliche intelligenz haben das monopol des menschen zerstört und kollektive intelligenz im rahmen der wissenschaften haben die autorität der urteilsfindung des individuums relativiert. was blieb war der kognitiv entthronte mensch.

die quelle der erkenntnis war nicht mehr die gleiche. es wurde zwar weiterhin in einem sich weiterhin demokratisch nennenden system mit dem anspruch argumentiert, wahrheiten und erkenntnisse zu behaupten, aber diese waren nun anderen ursprungs.

das nun entthronte individuum, das ja weiterhin den anspruch erhebt, mit der wahrheit zu argumentieren, hatte also die pflicht und schuldigkeit, sich der wahrheit anderer zu unterwerfen.

unterwerfung unter die wahrheit war und ist also der kern der demokratie, weil es der kern jeder argumentativen kommunikation ist.

demokratie im sinne dieser unterwerfung war und ist somit ein, ja das mittel der unterwerfung. insbesondere dann, wenn das individuum nicht mehr die ursache von wahrheit ist und nur mehr die folgen dieser wahrheit erleidet.

wahrheit im kontext der argumentativen kommunikation war und ist nichts anderes als das mittel zur macht.

derjenige, der es vermochte sich als quelle der wahrheit zu etablieren, war derjenige der macht über andere hatte.

und diejenigen, die diese wahrheit nur mehr als rezipienten betraf, waren diejenigen, die sich dieser wahrheit und damit jenen, die als deren quellen auftraten zu unterwerfen hatten.

demokratie war somit eine bestimmte herrschaftsform, die geistige überlegenheit als grundlage von macht und unterwerfung nutzte.

solange nun also das individuum, jedes individuum als potentielle quelle der wahrheit galt, konnte jedes individuum zumindest potentiell hoffnung auf macht haben.

dieses system der konkurrenz aller um die macht erfuhr nun damit einen radikalen bruch, dass das individuum sein erkenntnis-monopol verlor.

erkenntnis und wahrheit sind damit nicht mehr unter unmittelbarer individueller kontrolle sondern nur mehr unter mittelbarer individueller kontrolle.

das individuum also, das den anspruch auf wahrheit erhebt um macht auszuüben, kontrolliert nicht mehr seine eigene wahrheit sondern die im system etablierte wahrheitsquelle.

da nun die kontrolle über diese neuen quellen der wahrheit aus prinzipiellen gründen nicht mehr jedermann zugänglich sind, sondern nur mehr wenigen, ist das demokratische prinzip der gleichheit verlustig gegangen.

ohne die systembedingte chancengleichheit löst sich der begriff der demokratie von einem begriff der potentiellen herrschaft aller in sein gegenteil, die potentielle unterwerfung fast aller, auf.

die herrschenden wurden wieder von der konkurrenz um die macht befreit. sie müssen die beherrschten nicht mehr fürchten, weil sie das individuum mensch nicht mehr fürchten müssen. das system funktioniert nach neuen regeln, die das schwert des einzelnen stumpf gemacht haben.

die herrschenden nennen das system natürlich auch weiterhin demokratie, auch wenn das system längst aufgehört hat, nach den regeln der demokratie zu spielen.

entsprechend fordern sie gehorsam von den neuen, geistig entwaffneten untertanen. gehorsam gegenüber dem, was als politisch korrekt gilt.

nach der körperlichen entwaffnung des menschen folgte nun auch die geistige entwaffung des menschen. mit der geistigen entwaffnung des individuums endet die ära der demokratie.

der begriff der demokratie wird freilich zur verschleierung dieser entwicklungen auch weiterhin von den herrschenden geführt.

der kern dieser demokratie hat sich aber grundsätzlich geändert. es geht nicht mehr um den formalen schutz des prozesses der urteilsfindung sondern um den inhaltlichen schutz eines bestimmten ergebnisses dieses prozesses der urteilsfindung.

als solches konkretes ergebnis eines prozesses der urteilsfindung handelt es sich aber immer um das ergebnis einer konkreten urteilsfindung, also der urteilsfindung eines konkreten subjektes.

was nichts anderes bedeutet als den systemischen ausschluss der mehrheit, der überwiegenden, fast vollständigen mehrheit von der herrschaft.