bekanntlich soll es ja keine wahrheit geben. Dennoch kennt die Sprache das Wort Wahrheit. Wenn es aber die Wahrheit nicht gibt, wo gibt es dann das, was mit dem Wort Wahrheit bezeichnet wird?
Nun es gibt diese „wahrheit“ nicht im sinne einer vom Menschen unabhängigen Größe, zumindest gibt es sie für den Menschen in soweit nicht, wie sie für den menschen nicht zugänglich ist. Sehr wohl aber gibt es diese „wahrheit“ im sinne einer vom Menschen höchst abhängigen Größe.
Die Abhängigkeit äußert sich auf zweierlei weise. Zum einen im sinne einer von Menschen getätigten Aussage, also als Elemente von kommunikationsprozessen. Wahrheit ist keine Eigenschaft von unzugänglichen und unabhängigen Wirklichkeiten, sondern höchst zugänglichen und höchst menschenabhängigen Aktivitäten.
Zum anderen gibt es den prozess der Zuordnung des attributes wahrheit zu eben jenen Elementen menschlicher Kommunikation.
Hier nun sind wir an der wesentlichen Stelle angelangt. Die Relevanz der Zuordnung des attributes wahrheit hängt von deutlich mehr Faktoren als nur von jenen, sogenannter wissenschaftlichkeit ab.
Hier spielen wenigstens zwei Faktoren eine entscheidende Rolle. Erstens wer etwas sagt und zweitens wieviele etwas sagen.
Beide Faktoren sind entscheidend dafür, dass neue aussagen den status von wahrheiten erreichen. Sobald jedoch der Status der wahrheit erreicht wird, verlagert sich die autorität dieser wahrheit von ihren urhebern auf die Aussagen selber.
wahrheit ist somit in erster Linie eine frage der autorität. Autorität erhebt Aussagen in den Status von wahrheiten. Das kann die autorität einzelner oder die autorität von Mehrheiten sein.
Ist die Aussage erstmal in den adelsrang der wahrheit erhoben, so wird sie nicht mehr mit der autorität des willens ihrer Verursacher oder Schöpfer verknüpft, sondern mit der autoritär der Wirklichkeit selber.
Es wird also so getan, also käme der aussage eben jene Wirklichkeit zu, die eigentlich gar nicht zugänglich ist.
Egal ob es sich nun um die dominanz einzelner, die dominanz einer Mehrheit oder die dominanz der Wirklichkeit handelt. Am Ende geht es stets um Fragen der autorität.
Das hat natürlich zweierlei Konsequenzen. Zum einen sind im Kampf um die „wahrheit“ am ende inhaltliche Argumente mehr oder weniger wirkungslos, was die Ketzer und Aufklärer aller Jahrhunderte zu spüren bekamen.
Zum anderen bedeutet jedes anzweifeln dieser wahrheiten, also der Zweifel als solcher, stets eine Form von Ungehorsam und aufbegehren gegen den machtanspruch von autorität.
Ungehorsam bedeutet wiederum zweierlei. Zum einen eine Form von fehlender Solidarität allen jenen gegenüber, die sich dieser autorität unterworfen haben, also gegenüber den beherrschten und unterworfenen. Diese wachen nur zu mißgünstig darüber, dass nicht andere das tun, was sich selbst nicht zu tun getrauen.
Zweifel bedeutet aber auch bedrohung der Macht aller jener, die auf der Grundlage dieses wahrheitsgebäudes erst ihre Macht ausüben. Zweifel rüttelt an den Stühlen der Macht der herrschenden, was sie Ketzer und Aufklärer aller Zeiten zu spüren bekamen.
Der Ketzer und Aufklärer heutiger Tage, sollte sich also nicht wundern, wenn er mit all seinen Argumenten nur auf der stelle tritt und am ende nur sich selbst schadet.